Weitere Ansicht über die Ernährung von Kaninchen

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Giftige Pflanzen die hier aufgeführt oder vorgestellt werden, stellen für Tiere die Ad Libitum ernährt werden selten eine Gefahr dar, da sie in der Lage sind zu selektieren und daher immer wissen, was fressbar und genießbar ist und was nicht.

Wie in allen Fällen auch, ist jedes Tier individuell zu betrachten und man sollte neue Pflanzen IMMER langsam anfüttern.
Jedes Tier kann unterschiedliche Dinge auch unterschiedlich vertragen.

Die User sprechen von eigenen Erfahrungen, es liegt an Euch, Eure zu sammeln.
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Andreas
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Weitere Ansicht über die Ernährung von Kaninchen

Beitrag von Andreas » Di 17. Mär 2009, 09:50

Hallo,

Da die Informationen im Laufe des Disputes [url=http://www.tierpla.net/ernahrung-kaninchen/ernahrungs-diskussion-t1713.html]Ernährungs-Diskussion[/url] verstreut sind, habe ich mich entschlossen, meine Gedanken zur Nahrung/Ernährung in einem Beitrag zusammen zu fassen. Erklärungen habe ich, wenn möglich, zwecks Nachvollziehbarkeit mit Zitaten und Quellenangaben versehen. Egal, was und wie ich es schreibe: nichts davon ist als Empfehlung für die Fütterung seiner eigenen Tiere zu verstehen. Einiges unterscheidet sich deutlich von heute gängigen Darstellungen zur Ernährung von Kaninchen. Ich werde versuchen zu erklären, warum wir einige Dinge anders sehen und entsprechend füttern. Die Quellen sind am Ende des Beitrages aufgeführt. Der Text ist bewusst allgemein gehalten und soll niemanden direkt ansprechen.

1.) Als Anfang einige Darstellungen aus der Literatur zur natürlichen Nahrung von Wildkaninchen:

„Das Wildkaninchen ist ein Kulturfolger. […] Es beweidet vor allem die verschiedensten Arten von Kräutern und Süßgräsern (Poaceen). Letztere können bis zu 2/5 seiner Nahrung ausmachen. Der Rest setzt sich aus Grünpflanzen aller Art zusammen. Dabei nutzt es auch sämtliche Arten von Kulturpflanzen wie Rüben, verschiedene Kohlsorten, Getreide und Mais. Junge Getreideansaaten, Klee, Lupine, Kartoffeln und sogar Weinreben stehen außerdem auf seinem Speisezettel. Im Winter kommen noch Gehölze hinzu. Dann wird der fehlende Grünpflanzenanteil, der immerhin bis zu 3/5 der Nahrung ausmachen kann, durch das Verzehren von Knospen, Triebspitzen und Rinden ersetzt. […] Auch die Wurzeln ihrer Nahrungspflanzen werden ausgegraben und gefressen. Die gepflegten, kurz geschorenen Zierrasen der Gärten und Parks bieten den Wildkaninchen darüber hinaus eine vorzügliche Nahrung. Sie bevorzugen nämlich eine überwiegend eiweißhaltige Kost. [...]"[1]

„Von den Feldfrüchten bevorzugt das Kaninchen besonders junge Saaten, Klee, Lupine, Serradella und Esparsette, ferner reifes Getreide, Rüben, Mohrrüben, Raps, Kartoffeln und junges Kartoffelkraut. Auch Weinreben, Zierpflanzen und Stauden aller Art werden angenommen. Daneben werden allerlei Wildpflanzen verzehrt, die im einzelnen noch wenig bekannt sind.“ [2]

„Fünf bis sieben Wildkaninchen verzehren so viel wie ein Schaf. Dabei sind Kaninchen anspruchsvoller - sie bevorzugen junge Weide- und Futterpflanzen. Besonders beliebt sind Süßgräser, Klee und Getreide; auch Heidekraut (Calluna vulgaris, nicht dagegen Erica) und Seggen werden gern genommen. Im Forst machen sich die Kaninchen durch den Verbiss junger Nadelhölzer, ferner durch Schälschäden an dünnen Laubbäumen und Ausscharren von Sämlingen recht unbeliebt. […] [3]

„Nahrung: Im Vergleich zum Hasen ist das Wildkaninchen aufgrund eines kleineren Aktionsradius ein Nahrungsgeneralist (CHAPUIS 1990). Je nach Region und Saison bestehen große Unterschiede in der Nahrung. Allgemein bevorzugen Kaninchen Gräser und dicotyle Pflanzen (ROGERS et al. 1994), wobei Gräser in der Regel den Hauptanteil der Nahrung ausmachen (Tab. 49). […] Nahrungsmenge und -gehalt: Wildkaninchen können den Nährwert, Wasser- und Salzgehalt von Pflanzen und Pflanzenteilen unterscheiden […]. Jahreszeitliche, klimatische und geographische Unterschiede im Nährwert der Vegetation können Kaninchen durch die Menge und Art der aufgenommenen Nahrung regulieren. Bei akuten Mangelbedingungen kommt es jedoch zu einer Verschlechterung des physischen Zustandes von Adult- und Jungtieren…“ [4]

"regelmäßig" und sehr häufig oder bevorzugt befressen: Luzerne (Alfalfa), Rispenhirse, Gartenbohne, Roggen, Schafgarbe, Odermennig, Krause Distel, Gewöhnliche Wegwarte (Zichorie), Gewöhnliche Kratzdistel, Acker-Kratzdistel, Gewöhnlicher Feldrittersporn, Weißer Gänsefuß, Sichelklee, Kermesbeeren, Bibernelle, Windenknöterich, Gabel-Leimkraut, Schwarzer Nachtschatten, Große Brennnessel, Klee, Weizen, Mais, Beifuß, Echter Waldmeister, Wiesen-Flockenblume, Acker-Hornkraut, Zypressen-Wolfsmilch, Knöterich, Wiesen-Margerite, Gemeiner Rainkohl, Vogelmiere." (Kein wörtliches Zitat, aus [5]

Vor der Eiszeit war das Kaninchen bereits in Mitteleuropa verbreitet. Die Eismassen zwangen es bis auf die Iberische Halbinsel zurück. Hier bildeten sich zwei geographisch getrennte Gruppen des Oryctolagus Cuniculus – von einer dieser Linien stammen vermutlich alle heutigen Wildkaninchen ab.

„Genetische Befunde sprechen für einen iberischen Ursprung unserer Art. So haben Untersuchungen an mtDNA die Existenz von zwei recht unterschiedlich differenzierten mütterlichen Linien aufgezeigt (entsprechend etwa 4 % an Unterschieden) […]. Zur einen Gruppe gehören die Populationen der w und sw Iberischen Halbinsel, während die andere sämtliche Populationen des östlichen und nördlichen Spaniens, Frankreichs und der restlichen Welt umfasst. Der Vergleich der Daten aus archäozoologischen Funden (CALLOU 1995) und der Analyse von antiker DNA (HARDY et al. 1995) sprechen dafür, dass diese zwei mitochondrialen Linien bereits geographisch separiert waren, bevor irgend eine menschliche Beeinflussung der Verbreitung der Art eintrat. Alle bisher untersuchten Haustierrassen des Kaninchens zeigten sich als zur zweiten Gruppe gehörend […].“ [4]

Die Verbreitung erfolgte zum Teil durch Wanderung (nach dem Rückzug des Eises) und zum Teil durch die Verbreitung durch den Menschen (Aussetzen, entwichene und verwilderte Tiere). Das Kaninchen gilt als Kulturfolger, also ein Tier, das aufgrund landschaftsverändernder Maßnahmen Vorteile erlangt und deshalb dem Menschen in seine Kulturlandschaft (Äcker, Wiesen, etc.) folgt (siehe auch Definition in Wikipedia). Es ist völlig müßig, darüber zu spekulieren oder zu diskutieren, ob Kaninchen Getreide fressen – es gehört selbstverständlich zur natürlichen Nahrung wie andere Pflanzen auch.

Der Hauptteil der Nahrung des Kaninchens besteht also aus Kräutern und Gräsern, die durch weitere pflanzliche Bestandteile wie Wildgemüse, Sträucher, Rinde, Wurzeln, Pilze u. a. ergänzt wird. Sie bevorzugen die Blätter/Blattspitzen der Pflanzen, weshalb sie unter den Herbivoren (Pflanzenfressern) zu den Folivoren (Blattfresser) gerechnet werden [6]. Diese Einteilung erfolgt immer nach der hauptsächlichen Ernährungsweise einer Art. Der Hauptteil ist somit eine relativ rohfaserarme, aber proteinreiche Kost. Verschiedene Beobachtungen/Beschreibungen zeigen, dass Kaninchen ohne Zwang auch fleischliche Kost aufnehmen. Die Hauptnahrung besteht zum größten Teil aus Wasser, welches dafür sorgt, dass relativ große Mengen davon gefressen werden müssen.

Kaninchen siedeln dort, wo sie ihre natürliche Nahrung vorfinden und die Möglichkeit zum Graben ihre Baue vorhanden ist, in denen sie den Großteil des Tages verbringen. Gebietsweise leben sie auch oberirdisch. Manche schwimmen sogar zu ihren Nahrungsplätzen. [3] Gewöhnlich sind die Winter in Europa recht mild - viel Schnee, der lange liegen bleibt und gefrorene Böden bilden die Ausnahme. Ab einer Temperatur von etwa 4 - 5°C wachsen Pflanzen, so dass Kaninchen in den von ihnen bevorzugten Lebensräumen auch im Winter gewöhnlich genug zu fressen finden. Oberhalb von 400 – 600 m fehlen sie auf Grund größerer Schneemengen, die auch länger liegen bleiben. Sind die Winter sehr lang und schneereich, steigt auch die Sterblichkeitsrate unter den Tieren. Abgestorbene oder verholzte Pflanzenbestandteile fressen Kaninchen nur in Notzeiten.

2.) Die Verdauung des Kaninchens ist, logischerweise, auf seine Hauptnahrung eingestellt. Grobe, rohfaserreiche Teile der Nahrung passieren den Verdauungstrakt sehr schnell und werden direkt wieder ausgeschieden. Die Passagezeit für diese Nahrungsteile beträgt von der Aufnahme bis zum Ausscheiden ca. 5 Stunden [7], [8]. Die Passagezeit für die gesamte Nahrung beträgt etwa 5 – 6 Tage. Vom Magen gelangt die Nahrung über verschiedene Stationen in den Blinddarm, der auch als Fermentierkammer dient. (Fermentierung = Umsetzung biologischer Masse mittels Bakterien, Enzymen oder Pilzen unter Luftausschluss).

Die Verdauung der Stärke beginnt bereits im Maul durch das Enzym Ptyalin, welches im Speichel enthalten ist. Vom Magen, dessen Wände nur schwach bemuskelt sind und deshalb eine geringe Peristaltik aufweist, gelangt die Nahrung durch Nachschub neuer Nahrung und Muskeln am Magenausgang in den Darm (Peristaltik = wellenförmige Kontraktionsbewegungen, die den Nahrungsbrei durchmischt und weiterbefördert). Das Kaninchen frisst im Schnitt ca. 30 kleine Mahlzeiten, maximal bis zu 80. Die stete Nahrungsaufnahme sorgt für den Nachschub, der die Nahrung weiterbefördert. [8] Deshalb ist auch eine Rationierung der Nahrung nicht sehr sinnvoll. Im Dünndarm findet die weitere Verdauung der Stärke statt – wichtig sind hierbei die Enzyme der Bauchspeicheldrüse (Pankreas). Schließlich gelangt die Nahrung in den Dickdarm. Der Blinddarmabschnitt stellt eine Besonderheit dar, weil hier Bakterien schwer verdauliche Kohlenhydrate aufschließen. Die entstandenen flüchtigen Fettsäuren decken einen Teil des Energiebedarfs des Kaninchens, außerdem werden Vitamine der B-Reihe und Vitamin K gebildet. Einen Teil des hochwertigen Bakterieneiweißes verwertet es durch die Coecotrophie (Blinddarmkot). Wird ein Tier sehr energiehaltig gefüttert, kann der Blinddarmkot auch liegen bleiben und schockt oft Halter, die ihn mit Durchfall verwechseln.

Die Enzyme für die Stärkeverdauung entwickeln sich laut verschiedenen Literaturangaben im Laufe des Wachstums und durch den Verzehr stärkehaltiger Nahrung, die diese aktivieren. Ab etwa der 8. Woche sollen sie in der Lage sein, auch stärkehaltige Nahrung zu verdauen. Dazu unsere Erfahrungen: unseren Tieren stand immer Futter zur freien Verfügung, welches sie auch in der Natur finden: frisches Grün, Äste und Gemüse; zusätzlich ein Struktur-Alleinfutter, welches auch Getreide enthält. Nach dem Verlassen des Nestes (ab ca. der 3 Woche) konnten auch die Jungtiere dieses Futter erreichen und haben es auch gefressen. Keines der Jungtiere hatte je Durchfall. Das entspricht auch Angaben aus der Literatur, die vom Fressen proteinreicher Kost und auch Getreide durch Jungtiere berichtet [5].

3.) Die Rohfaser wird heute als wichtigster Bestandteil der Nahrung von Kaninchen bezeichnet, obwohl sein Gehalt im Hauptbestandteil der natürlichen Nahrung eigentlich recht gering ist. Einige Literaturwerte (in %):

Weidegras*: 4,0
Gras, Wiese** a: 6,0
Gras, Wiese** b: 4,0
Luzerne frisch*: 5,10
Lupine, frisch*: 2,85
Melde, frisch*: 3,24
Giersch, frisch*: 2,56
Bärenklau*: 1,98
Landsberger Gemenge*: 2,85
Landsberger Gemenge**: 3,3
Topinambur*: 1,16
Melde**: 3,2
Rotklee**: 3,3

Das, was heute als Hauptfutter empfohlen bzw. gefüttert werden soll, hat einen vielfachen Rohfasergehalt dieser natürlichen Nahrung. Einige Literaturwerte (in %):

Wiesenheu* a: 29,1
Wiesenheu* b: 28,03
Wiesenheu* c: 23,14
Wiesenheu, gering**: 29,1
Wiesenheu, mittelgut**: 25,0
Wiesenheu, sehr gut**: 23,5
Luzerneheu** v. d. Blüte**: 25,2
Luzerneheu** volle Blüte**: 30,6
Raygras**: 33,0
Timothe, Heu**: 30,7

Getreide haben etwa folgende Rohfasergehalte (in %):
Hafer* a: 15,81
Hafer* b: 13,13
Weizen*: 6,91


* aus [7], ** aus [9]
Anmerkung: „Landsberger Gemenge“ ist eine Leguminosen-Gras-Mischsaat und besteht aus Zottelwicke (21 kg/ha), Inkarnatklee (9 kg/ha) und Welschem Weidelgras (30 kg/ha)

Zwischen der natürlichen Nahrung und den Rohfaser-Empfehlungen für Kaninchen besteht ein offensichtlicher Widerspruch.

In den frühen Zeiten der Kaninchenhaltung bestand die Kaninchenfütterung nicht hauptsächlich aus Heu, sondern größtenteils aus frischem Grün, dass auch das Großvieh erhielt - zusätzlich Reste aus der Küche und Heu/Stroh, welches zur Verfügung stand. So konnten die Tiere die am leichtesten verdaulichen Bestandteile aus der Nahrung selektieren - so wie Wildkaninchen. Später kam Trockenfutter in Mode, welches in punkto Nährstoffgehalt das frische Grün ersetzen sollte. Da sie das hochenergetische Trockenfutterfutter (Futterkonzentrat) sehr schnell aufnehmen, erhielten sie zusätzlich Heu und Stroh, das vorrangig dem Vertreib der Langeweile (Verhaltensstörungen) und dem Zahnabrieb diente. Außerdem wurde/wird vor allem im Winter Wirtschaftsfutter wie Silage (fermentiertes Grünfutter) gefüttert. In der Heimtierhaltung blieb schließlich nur noch Trockenfutter, Heu und Gemüse übrig. Heute wird Trockenfutter oft pauschal abgelehnt und nur noch Heu und Gemüse gefüttert. Die Nahrung des Kaninchens entfernte sich also immer weiter vom Vorbild in freier Wildbahn. Das es sich hierbei um eine Mangelernährung handelt, ist nur wenigen bewusst.

"Das Kaninchen ist damit einige der wenigen domestizierten Tierarten, bei denen die Haustierwerdung infolge einer nicht artgerechten und nicht dem Bedarf entsprechenden Fütterung im Vergleich zu den wildlebenden Artgenossen zu einer Verschlechterung der Leistungen geführt hat." [10]

Wenn man frisches Grün zu Heu trocknet, gehen über 50% der Nährstoffe verloren. Jeden Monat der Lagerung verliert es weitere 5%. [11] Die Nährstoffverluste resultieren weitgehend durch mechanische Belastungen und damit verbundenen Bröckelverlusten an Blättern, die die meisten der wichtigen Nährstoffe enthalten (durch Ernte, Wenden, Lagerung). Die weit verbreitete Bodentrocknung von Heu ist auch die verlustreichste - bis zu 80% der Nährstoffe können hier lagerungs- und witterungsbedingt verloren gehen.

Die Notwendigkeit des Heus wurde/wird mit der Notwendigkeit der Rohfaser für die Verdauung und den Zahnabrieb erachtet. Das ist sicher richtig, aber in welchen Mengen (siehe Wildkaninchen)? Die Empfehlungen für den Rohfasergehalt wiederum resultieren aus Versuchsergebnissen mit pelletiertem Alleinfutter. Dort ist der hohe Rohfasergehalt nötig, um die fehlende Struktur (zermahlene Stützelemente der Pflanzen) durch die Masse auszugleichen:

"Unter intensiven Haltungsbedingungen erhalten Kaninchen Alleinfutter ad libitum angeboten. Tabelle 134 enthält optimale Nährstoffkonzentrationen von Mischfuttermitteln für die Mast und Reproduktion. Diese Daten wurden unter Benutzung der Angaben des NRC (1977) sowie von Cheeke et al. (1982), Partridge et al. (1983), INRA (1984), Kamphues (1984), Sanchez et al. (1985), Fekete und Gippert (1985) und Lebas (1986) zusammengestellt. Die relativ hohe Rohfaserempfehlung spielt in erster Linie eine diätische Rolle: Sie dient der Durchfallprophylaxe (Cheeke, 1984). Die Faser erfüllt diese physiologische Aufgabe, wenn der unverdauliche Anteil darin groß genug und sie nicht zu fein (<0,1 - 0,2 mm) gemahlen ist (Pairet et al., 1986) […] Bei zu hoher Rohfaserkonzentration (> 22%) treten dagegen häufig Blinddarmverstopfungen und Koprostase auf.“ [12]

Diese Empfehlungen galten eigentlich für pelletierte Alleinfuttermittel, deren Bestandteile zermahlen wurden, weshalb auch der Rohfasergehalt entsprechend hoch sein muss. Diese Empfehlungen werden heute aber für jedes Futter ausgesprochen. Vermutlich ist im Laufe der Zeit nur noch die Zahl von 16% hängen geblieben, während alles andere weg gelassen wurde.

4.) Trockenfutter und Getreide werden heute oft pauschal für Verdauungsstörungen verantwortlich gemacht. Unterscheidungen bzw. sinnvolle Differenzierungen der Trockenfutter findet man nur in der Fachliteratur. Zusätzlich zur Literatur können wir auf Erfahrungen mit unseren eigenen Tieren zurückgreifen.

Fakt ist, dass
a) zuviel Stärke bzw. Getreide schädlich ist - die Tiere verfetten
b) Trockenfutter, deren Bestandteile zermahlen wurden, schädlich sind
c) ein Zuviel von zuwenig Auswahl auf längere Zeit schädlich ist und
d) zuviel trockene Nahrung auf längere Zeit schädlich ist.

Grundsätzlich kann man sagen, dass alle Trockenfutter ohne Deklaration (Angabe der Inhaltsstoffe) fragwürdig sind und nicht verfüttert werden sollten. Für Heimtiere ist eine Deklaration dem Gesetz nach (Futtermittelverordnung) nicht notwendig, die Angabe "Mischfutter" reicht aus. So genannte "Ergänzungspräparate" sind ebenfalls aus unserer Sicht fragwürdig und sollten nicht verfüttert werden, da sie den ausgeschriebenen Zweck oft nicht erfüllen und zumeist die zermahlenen Rohfasern enthalten. [13] Für Zucht-/Masttiere gibt es Trockenfutter in pelletierter Form, die zumindest dem Inhalt nach sinnvoller sind. Außerdem sind diese Futtermittel deklariert, oft nach der "offenen" Deklaration, die auf freiwilliger Basis die mengenmäßige Zusammensetzung des Futters aufführt.

Wir verfüttern aber grundsätzlich keine Pellets an unsere Tiere - egal, was sie enthalten.

Was ist denn nun an diesen Pellets mit der zermahlenen Rohfaser so schlimm? Für die Herstellung von Pellets werden die Futterbestandteile zerkleinert und gemischt, anschließend in einer Trommel verdichtet und durch eine Matrize mit vielen Bohrungen (ø 3 mm) als Stränge ausgepresst, die schließlich auf Länge geschnitten werden. Technologisch bedingt wird die Masse beim Herstellungsprozess auf bis zu 70°C erhitzt. Durch die abschließende Abkühlung entweicht die Feuchtigkeit bis auf einen Gehalt von 12 - 13%. Für die nötige Konsistenz der Masse und die Bindung feiner Bestandteile werden unter anderem Stärke und Melasse als "Bindemittel" zugesetzt. Wenn es sich um "Alleinfuttermittel" handelt, enthält es die Nährstoffe, die das Kaninchen braucht. Eine Selektiermöglichkeit fehlt allerdings.

Das Problem ist aber der feine Vermahlungsgrad der Komponenten. In Versuchen hat man festgestellt, dass die Faserlänge nicht kleiner als 0,3 mm sein soll. (Das ist natürlich für jeden Halter völlig unproblematisch im Futter nachvollziehbar :D) Da es sich um ein Futterkonzentrat handelt, welches schnell sättigt, liegen hochverdauliche Bestandteile vor, deren Verweilzeit im Blinddarm verhältnismäßig lang ist. Der pH-Wert im Blinddarm liegt normalerweise bei ca. 6, also leicht sauer. Durch die längere Verweilzeit im Darm, fehlenden Nahrungsnachschub sowie der Tätigkeit von Bakterien kommt es zu Gärprozessen, die diesen pH-Wert langsam ansteigen lassen - er wird neutral bis alkalisch (7,0 - 8,2) und verbessert somit die Lebensbedingungen für unerwünschte Bakterien. [14], [15] Die Folge sind Gase und die Schädigung von Zellgewebe durch toxische Ausscheidungen. Hauptsächlich betrifft das Bakterien wie Clostridium perfringens und Escherichia coli (E. coli). [14]

Die Hauptursache für diese Art von Erkrankungen liegt nicht in Getreide oder der Stärke daraus, sondern in der fehlenden Struktur der Rohfaser in pelletierten Trockenfuttern. Wenn man Kaninchen Getreide in natürlicher Form in größeren Mengen füttert, wird nichts weiter passieren, als dass sie in sehr kurzer Zeit fett werden (adipös). Ist das Getreide klein gemahlen, sieht das Ganze schon anders aus.

Bei starken Durchfällen wird z. B. die Fütterung von Haferflocken empfohlen - aus gutem Grund. Sie dienen geschwächten Tieren nämlich als Energielieferant:

"Unterstützende Fütterungsmaßnahmen bei Diarrhoe: […]
• Durch qualitativ hochwertiges Heu wird hochverdauliche Rohfaser zur Verfügung gestellt, die zur Unterstützung physiologischer Fermentationsvorgänge wichtig ist.
• Möhren und Gemüse sind reich an Zellulose und Pektinen. Diese Substanzen liefern leicht, aber langsam fermentierbare Kohlenhydrate, so dass über die Fermentationsprodukte (flüchtige Fettsäuren) eine ausreichende Energieversorgung der Schleimhaut gewährleistet wird.
• Bananen erzeugen eine gelähnliche Oberfläche und dienen dadurch dem Schleimhautschutz.
• Kleien (v. a. Haferkleie) binden laxierend wirkende Gallensäuren.
• Aufgeschlossene Getreide (Haferflocken, Zwieback) dienen als Energielieferanten. Sie sollten aber nur bei akuten wässrigen Durchfällen verabreicht werden."
[16]

Nix mit "Heu-Diät"… :D
Bei Durchfällen ist vor allem die Dehydration (hoher Wasserverlust) ein Problem. Die "Heu-Diät", die leider oft in solchen Situationen empfohlen wird, ist also ein völlig falscher Weg.

In den ganzen Diskussionen um Getreide und anderen Inhaltsstoffen werden vor allem auch die Mengen völlig außer Acht gelassen, um die es hier geht. Die ganze Hysterie ist auf Grund von Mutmaßungen und Übertreibungen entstanden. Sicher ist für die Fermentierung/Gärung Zucker nötig, aber der liegt auch aus anderen Futterquellen wie Heu und vor allem Obst vor. Erst bei sehr großen Mengen an Stärke bildet auch unverdaute Stärke im Blinddarm den Nährboden für pathogene Keime.

5.) Vor allem eines gerät aber bei "Heu und Gemüse" völlig in den Hintergrund: nämlich die Versorgung der Tiere mit den nötigen Nährstoffen bei freier Selektionsmöglichkeit und die Versorgung mit Wasser. Heu ist ein "Futter", dessen Nährwert völlig unbekannt (aber auf jeden Fall sehr niedrig) und der Rohfasergehalt viel zu hoch ist. Ab Rohfasermengen von über 20% sinkt die Aufnahme des Futters. [8] Es enthält so gut wie kein Wasser mehr - Tiere nehmen entgegen der Meinung vieler nicht zwangsläufig zusätzlich die Menge auf, die sie benötigen. Den "Durst stillen" heißt nicht, die fehlende Menge adäquat ausgleichen. Kalzinose/Urolithiasis sind heute bei Heimkaninchen fast schon gängige Krankheiten..

"Prophylaxe: Bei jedem Kaninchen, das aufgrund einer Urolithiasis behandelt wurde, sollten eine Überprüfung der Fütterung und deren Korrektur erfolgen. Kalziumhaltige Futtermittel sind zu reduzieren. Stattdessen wird reichlich Frischfutter mit hohen Wassergehalten angeboten, um die Diurese zu steigern." [16]

Die Prophylaxe sollte eigentlich auch für Tiere gelten, die noch nicht mit Blasensteinen belastet sind :D Durch frisches Grün ist dies zwangsläufig gegeben und entspricht auch natürlichen Gegebenheiten - die hohe Wassermenge spült überschüssige Mineralien wieder aus.

Dass jede Art von Futter (also auch weiches) für den Zahnabrieb geeignet ist, weiß man seit den Veröffentlichungen von Wolf & Kamphues zu diesem Thema. [17] Die Dauer der Beschäftigung mit dem Futter ist ausschlaggebend, nicht die Härte.

Diskussionen darüber, ob nun ein Kaninchen Getreide frisst oder nicht, nur weil die eigenen Tiere, aus welchen Gründen auch immer, keines fressen, sind aus meiner Sicht wenig sinnreich. Es wird immer Tiere geben, die verschiedene Vorlieben haben. Unsere fressen z. B. Dinge, von denen andere Halter ganz begeistert berichten, dass sie geradezu gierig gefressen werden würden, überhaupt nicht. Den Grund dafür sehe ich aber eher woanders.

Ich kann jedoch feststellen, dass für unsere Tiere das gilt, was man auch in verschiedenen Literaturquellen lesen kann. Durch unsere Fütterung sind wir in der Lage, jedes Futter ad libitum anzubieten. Die Tiere wählen sich selbst schmackhafte und benötigte Komponenten aus. Heu und Trockenfutter werden im Sommer so gut wie nicht mehr gefressen - dafür fast nur noch Gras und Kräuter. Sie werden regelmäßig gewogen und einmal im Jahr vom Tierarzt gecheckt. Die meisten Halter sind aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage, ihre Tiere so zu versorgen. Deswegen muss man sie nicht verurteilen - aber man kann sie ehrlich darüber informieren, welche Gefahren bei den oft empfohlenen Alternativen bestehen und vor allem darüber, wie man die Tiere mit anderen Dingen möglichst adäquat versorgt. Ob da nun etwas Melasse mit dabei ist…

Trockenfutter ist sicher kein "Muss" - aber ich würde ein sinnvolles, strukturiertes, natürliches Alleinfuttermittel mit Getreide als Trockenfutter nicht prinzipiell ablehnen, wenn die Tiere ansonsten nur mit Heu und Gemüse ernährt werden. So erhalten sie wenigstens einen Teil der Nährstoffe, die in dieser "Magerkost" ganz klar fehlen.

Ansonsten gilt:
"All Ding' sind Gift und nichts ohn' Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist."
(Theophrastus Aureolus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus)

Mit anderen Worten: nur weil Zitronensäure in großen Mengen tödlich wirkt, muss ich sie ja als Nahrungsergänzung nicht "verbieten".

:D

freundliche Grüße,
Andreas

Quellen:

[1] Allgöwer, R.; Wildkaninchen, Oryctolagus Cuniculus (Linnaeus, 1758); in: Braun, M. & Dieterlen, F. (Hrsg.); 2005; Die Säugetiere Baden-Württembergs; Band 2; Verlag Eugen Ulmer Stuttgart; ISBN 3-8001-4246-5

[2] Boback, Alfred W.; Das Wildkaninchen: (Oryctolagus cuniculus (Linné, 1758); 2., unveränd. Aufl.; Nachdr. der 1. Aufl., Wittenberg Lutherstadt, Ziemsen, 1970; Hohenwarsleben; Westarp-Wiss.-Verl.-Ges.; 2004; (Die neue Brehm-Bücherei; 415); ISBN 3-89432-791-X

[3] Grzimek, B. (Hrsg.); Grzimeks Tierleben, Die Enzyklopädie des Tierreiches; Zwölfter Band, Säugetiere 3; Zürich; Kindler; 1972

[4] Kaetzke, P.; J. Niethammer, J.; Masseti, M. (Paläontologie); Oryctolagus cuniculus (Linne, 1758) - Europäisches Wildkaninchen, in: Krapp, Franz, Hasentiere - Lagomorpha; hrsg. von Krapp, F.; 1. Aufl.; Wiesbaden; Akad. Verl.-Ges., 2003; ISBN 3-89104-509-3

[5] Turček, F. & Stiavnica, B.; Beitrag zur Kenntnis der Fraßpflanzen des Wildkaninchens, Oryctolagus cuniculus (Linne, 1758), in freier Wildbahn; Säugetierkundliche Mitteilungen; 1959; Heft 7; Seite 151 - 153; ISSN 0036-234

[6] Kamphues, J.; Coenen, M.; Kienzle, E.; Pallauf, J.; Simon, O.; Zentek, J. unter Mitarbeit von: Iben, C.; Kölle, P.; Männer, K.; Vervuert, I.; Wolf, P.; Supplemente zu Vorlesungen und Übungen in der Tierernährung; begründet von Meyer, H.; Verlag M. & H. Schaper; Alfeld-Hannover; 10., vollst. überarb. u. erg. Aufl.; 2004; ISBN 3-7944-0205-7

[7] Mangold, E.; Fangauf, R.; Handbuch der Kaninchenfütterung; Neumann Verlag GmbH; Radebeul; 1950

[8] Schley, P.; Kaninchen; Stuttgart, Ulmer 1985; (Tierzuchtbücherei: Geflügel und Kleintiere) ISBN 3-8001-4349-6

[9] Schlolaut, W. (Hrsg) in Zusammenarbeit mit Lange, K.; Das große Buch vom Kaninchen; 3., erw. Aufl.; Frankfurt am Main; DLG-Verl., 2003; 488 S.; ISBN 3-7690-0592-9

[10] Schlolaut, W.; Der Irrtum vom genügsamen Kaninchen; Deutscher Kleintier-Züchter; Nr.4/1997, S.20 - 21

[11] Lackenbauer, W.; Kaninchenfütterung: tiergerecht - naturnah - wirtschaftlich; 3., überarb. Aufl. Reutlingen; Verl.-Haus Reutlingen Oertl und Spörer; 2001; ISBN 3-88627-704-6

[12] Fekete, S.; Ernährung der Kaninchen; in: Ernährung monogastrischer Nutztiere, Kapitel 4; Wiesemüller, W. und Leibetseder, J. [Hrsg.], G. Fischer; Jena, Stuttgart; 1993; ISBN: 3-334-60428-4

[13] Wolf, P., Kamphues, J.; Kritische Einschätzung kommerzieller Ergänzungspräparate für Kaninchen, Meerschweinchen und Chinchilla; Praktischer Tierarzt 84: 9, 674 - 678 (2003); Schlütersche GmbH & Co. KG, Verlag und Druckerei; ISSN 0032-681-X

[14] Matthes, S.; Untersuchungen über die bakterielle Darmflora von Kaninchen; Kleintierpraxis 26, 383 - 386 (1981); Verlag M. & H. Schaper; Hannover

[15] Cheeke, P. R.; Rabbit Feeding and Nutrition (Animal feeding and nutrition series); Academic Press, Inc.; Orlando, Florida; 1987; ISBN 0-12-170605-2

[16] Ewringmann, A.; Leitsymptome beim Kaninchen: diagnostischer Leitfaden und Therapie; Stuttgart, Enke, 2005; 284 S; (Konkret-Kleintier-Praxisbuch); ISBN 3-8304-1020-4

[17] Wolf P., Kamphues J; Untersuchungen zu Fütterungseinflüssen auf die Entwicklung der Incisivi bei Kaninchen, Chinchilla und Ratte; Kleintierpraxis, 41. Jahrgang, S. 723 - 732 (1996)

EDIT: Um seine Meinung zu diesem Thema kundzutun, bitte diesen Thread verwenden: [url=http://www.tierpla.net/ernahrung-kaninchen/ernahrungs-diskussion-t1713.html]Ernährungs-Diskussion[/url]
freundliche Grüße,
Andreas
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Hier steht's auch: [url=http://www.kaninchen-wuerden-wiese-kaufen.deyl3]Kaninchen würden Wiese kaufen[/urlyl3]

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