Pferde reagieren auf giftige Pflanzen empfindlicher als Kühe

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Pferde reagieren auf giftige Pflanzen empfindlicher als Kühe

Beitrag von lapin » Mi 24. Jun 2009, 19:41

Ich bin mal die letzten Tage so die ganzen Giftdatenbanken verschiedener Pflanzen im Netz durchgegangen...und natürlich wurde dann von einzelnen Symptomen, bei aufnahme von unterschiedlichen Tierarten berichtet. Wo das Pferd meist sofort nachdem Verzehr tot umfiel, hatte die Kuh doch weitaus weniger Probleme damit, bzw. spürte sie erst etwas ab einer größeren Menge.

Woran liegt das? An den vielen Mägen der Kuh?
Oder an der Domestizierung des Pferdes?

Hat jemand eine Antwort dafür?


Lg lapin"Das Leben ist 10% was dir passiert und 90%, wie du darauf reagierst."

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Murx Pickwick
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Re: Pferde reagieren auf giftige Pflanzen empfindlicher als Kühe

Beitrag von Murx Pickwick » Fr 3. Feb 2023, 15:58

Ich denke, es sollte unterschieden werden zwischen der (Pflanzen-)giftresistenz und der Fähigkeit zu Selektieren.

Selektieren muß gelernt werden - wie meine Vorredner angemerkt haben, wird Selektieren natürlicherweise von der Mutter abgeschaut. Dabei bekommen die Jungtiere ihre erste Lektion mit der Muttermilch. Diese schmeckt nach den Hauptnahrungspflanzen. Auf der Weide sehen die Jungen, was ihre Mütter bevorzugt futtern und probieren sehr viel in kleinen unschädlichen Mengen. Dabei sind sie nicht darauf angewiesen, sich mit den für sie neuen Pflanzenarten zu ernähren, sie können sich den Luxus, Winzmengen zu probieren, leisten ohne zu hungern, denn ihre Hauptnahrung ist die Milch ihrer Mütter.
Die meisten Hausrinder, insbesondere die Milchrinder, werden von ihren Müttern nur wenige Tage nach der Geburt getrennt. Sie bekommen zwar noch die Kolostralmilch mit, nicht jedoch den Geschmack der Hauptnahrungspflanzen. Wenn sie das zweifelhafte Glück haben, nicht geschlachtet zu werden und tatsächlich auf die Weide zu kommen, wissen sie schlichtweg nicht, was freßbar ist und was nicht. Sie haben jedoch nun das Problem, daß sie sich von diesen ihnen unbekannten Pflanzenarten auf der Weide ernähren müssen - sie können es sich nicht leisten, bei jeder Pflanzenart erstmal nen Probebiß zu machen und zu spüren, wie verträglich das Pflänzli ist.
Dazu kommen die Verdauungsprobleme durch die Milchaustauscher - ein nicht mehr zu managendes Problem, was versucht wird, mit der Aufnahme harter Substanzen zu kompensieren.
Geht oft genug schief und kostet immer wieder Rinderleben ...

Kurzum, daß Hausrinder auf der Weide ungeeignetes Futter aufnehmen, liegt schlichtweg daran, daß sie nie in die Lage versetzt wurden, Selektieren auf natürliche Art und Weise zu lernen. Sie müssen es auf die harte Tour unter erschwerten Bedingungen im Turbokurs lernen - und das geht halt bisweilen schief.
Rinder (auch hochgezüchtete Holstein-Frisian), haben diese Probleme nicht, wenn sie in Ammenaufzucht oder in Mutterkuhhaltung aufwachsen dürfen. Diese mit Muttermilch aufgezogenen Rinder sind nicht nur deutlich weniger häufig krank, sondern sie können auch gut selektieren, vor allem dann, wenn die Mütter und Ammenmütter regelmäßig Wiese bekommen. Die Aufnahme harter Gegenstände, wie Steine, Nägel, Draht etc ist bei mehreren Monaten gestillten Kälbern unbekannt, sie wissen, daß die harten Gegenstände gegen Krankheiten Zweige, Rindenaufwuchs und die Rinde von Bäumen sind. Sie haben es schon als Kalb lernen können.

Bei Pferden nimmt das zu frühe Trennen von den Eltern zu - und damit auch die Probleme, daß Jungpferde ungeeignetes Futter aufnehmen, was sie auf den direkten Weg zum Tierarzt bringt. Auch hier kann beobachtet werden, je früher ein Fohlen von der Stute getrennt wird, desto eher werden ungeeignete harte Gegenstände, wie Nägel oder Draht, aufgenommen. Die Fohlen haben eine gewisse angeborene Vorstellung davon, wie Äste und Zweige aussehen, aber diese sehr unspezifische Vorstellung reicht nicht aus, einen Nagel von einem Zweig zu unterscheiden. Dazu ist das Erlernen, wie man Zweige am Geschmack und Konsistenz erkennt, vonnöten.
Dazu kommt das Koppen und andere Verhaltensstörungen, welche zu enormen gesundheitlichen Problemen, wie beispielsweise Koliken, führen.

Das Pferde und Rinder "süchtig" nach Bitterpflanzen werden, liegt schlichtweg daran, daß sie ein durch Milchaustauscher oder ungeeignete Nahrung rouiniertes Pansen- bzw Darmmillieu haben. Sie versuchen über die Bitterstoffe, die schnellwachsenden, unnützen Organismen in Pansen und Darm im Wachstum zu hemmen.
Das funktioniert nur deutlich weniger gut, wie bei den Standortweidern, welche unterschiedliche Strategien entwickelt haben, einer Fehlbesiedlung im Darm zu begegnen, da diese auch natürlicherweise in Situationen kommen, wo der Darm fehlbesiedelt wird.

Spannender wird es bei der Giftresistenz selbst ... denn es ist zu beobachten, daß Perde deutlich weniger von den gleichen sekundären Pflanzenstoffen vertragen, wie Rinder und das, trotzdem sowohl Pferde, als auch Rinder Extremwanderer und Grazer sind.
Das hat was mit der Nutzung der Weide/Steppe zu tun - und gibt Hinweise auf eine optimale Haltung dieser Extremwanderer.
Sowohl Rinderartige, als auch Pferdeartige wandern extrem weit, wobei Pferdeartige eine höhere Wandergeschwindigkeit erreichen, wie die Rinderartigen. Sowohl innerhalb der Rinderartigen, als auch innerhalb der Pferdeartigen haben sich ausgesprochene Gebirgsbewohner entwickelt, die sich vom Gruppenverhalten und der Giftresistenz von den Arten innerhalb ihrer Gattung unterscheiden. Gebirgsbewohner bilden kleine Herden, die nur aus Muttertieren mit ihren Kindern bestehen. Die Krone der Schöpfung sind deutlich unverträglicher untereinander, wie ihre nächsten Verwandten im Tiefland. Bei den Yaks bleiben zwar die Kerle in der Nähe der Kuhherden, aber sie grasen nur selten innerhalb der Kuhherden. Bei allen anderen Rinderarten ist dies anders, die Kerle wandern und grasen ganzjährig mit der riesigen Herde.
Bei den Eseln sind die Herren der Schöpfung echte Einzelgänger, die nur selten auf Ihresgleichen stoßen. Junghengstherden, wie sie bei Halbeseln, Pferden und Zebras beobachtet werden können, gibts bei verwilderten Eseln nur im Ausnahmefall, was vermutlich eine Anpassung an beengte Haltungsbedingungen darstellt. Denn bei der Wildform wurden bislang keine Junghengstherden beobachtet. Gebirgsbewohner haben allesamt eine höhere Pflanzengiftresistenz wie ihre nahe Verwandschaft im Tiefland (gilt auch für die Hochgebirgsbewohner Ziege und Geröllfeldbewohner Schaf - Ziegen vertragen so hohe Konzentration an sekundären Pflanzenstoffen, wie Kaninchen. Schafe sind da deutlich weniger tolerant.)

Bei den Steppen- und Waldbewohnern bilden die Rinderartigen riesige Herden aus weiblichen und männlichen Tieren samt Nachkommenschaft. Sie walzen in einem gleichmäßigen Tempo über die Steppe, latschen alles platt, was ihnen unter die Klauen kommt und fressen bevorzugt junge Gräser und Kräuter im Akkord. Tagsüber ziehen sie sich zum Widerkäuen zurück, wobei sie schattige Wäldchen bevorzugen.
Die Pferdeartigen dagegen bilden kleine Trupps aus mehreren Stuten samt Nachkommenschaft und ein bis wenigen Hengsten, die nah miteinander verwandt sind. Diese Trupps sind deutlich mobiler, wie Rinder und halten sich in einem größeren Abstand zu anderen Herden. In der Serengeti kann das gut beobachtet werden - während die Kaffernbüffel in riesigen Herden durchs Land ziehen, halten sich mit ihnen vergesellschaftete Zebras in einigen dutzend Metern von der großen Rinderherde entfernt auf.

Und genau in diesem Weide- und Wanderverhalten liegt dann auch schon die Erklärung für die unterschiedliche Empfindlichkeit auf sekundäre Pflanzenstoffe. Pferde können es sich leisten, die nährstoffreichsten Pflanzenarten mit wenig sekundären Pflanzenstoffen sich herauszusuchen, während Rinder in der dichten Herde das nicht können. Sie müssen fressen, was sie beim Drüberlatschen über die Steppe/Weide schnell erhaschen und grasen können.
Zudem sind Pferde durch ihre höhere Wandergeschwindigkeit in der Lage, schneller gute Weidegründe zu erreichen, wie die Rinderartigen.

Werden Pferde und Rinder in Mobgrazing-Systemen gehalten, müssen deshalb die Pferde als erstes auf die Weide - sie legen sich Pfade an, von denen aus sie die vorteilhaftesten Pflanzen heraussuchen. Dabei dürfen die Pferdegruppen nicht zu groß werden.
Die Rinderherden dagegen können in riesigen Herden auf die Weide losgelassen werden - nachdem die Pferde gegrast haben, bleibt noch genügend für die Rinder über. Sie latschen alles platt auf ihrem Weg über die Weide, nach wenigen Tagen sieht die Weide aus wie Bombe eingeschlagen - aber, die so malträtierten Wiesenpflanzen beginnen nun ihre in den Wurzeln und Wurzelansätzen eingelagerten Reserven anzubrechen und wachsen nach dem Rinderimpact sehr schnell. Durch die perfekt aufgearbeitete Rinderdung- und Pferdedung-Düngung können sie ihre Wachstumsgeschwindigkeit sogar noch erhöhen, das abgestorbene, niedergetrampelte Pflanzenmaterial wird gut beimpft durch den Dung, so daß Bakterien und ein kleiner Teil Pilze das Pflanzenmaterial zu Dünger verarbeiten. Das muntere Bodenleben fixiert Stickstoff im Boden, was wiederum den Pflanzen zugutekommt. Wird nun die Weide/Steppe in Ruh gelassen, können sich die Pflanzen sehr schnell erholen und beginnen, ihre Reserven wieder aufzufüllen. Nach einigen Wochen bis Monaten kann der nächste Weidemob kommen. (Wie lange es dauert, liegt an Klimaverhältnissen, Wasserverfügbarkeit, Schatten etc auf der Weide.)

In Weidesystemen, wo Pferde und Rinder gleichzeitig weiden, nischen sich Pferde und Rinder gut ein ... die Rinder fressen eher die wirkstoffreichen Pflanzen, die Pferde kommen mit den weniger nährstoffreichen und weniger wirkstoffreichen Pflanzen bestens klar. Rinder können zudem besser wie Pferde Blätter von Sträuchern verwerten. Die Verteilung des Dungs ist aufgrund des unterschiedlichen Weideverhaltens gleichmäßiger. Weiterhin passen sich die Rinder an das Weideverhalten der Pferde an und bilden auch Pfade, von welchem aus sie von ihren Ruheplätzen auf die lohnenden Weideplätze und zurück wandern.
Allerdings führt eine Dauerbeweidung dieser Tierarten recht schnell zur Überweidung - die Weide muß also auch in Gemischtbeweidung regelmäßig gewechselt werden, wenn sie nicht zerstört werden soll.



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