Hilfe: Hund reagiert aggressiv auf andere

Moderatoren: Venga, Mrs Rabbit

Antworten
Benutzeravatar
RuJo
Planetarier
Planetarier
Beiträge: 1891
Registriert: So 9. Mai 2010, 18:33
Land: Deutschland
Hat sich bedankt: 101 Mal
Danksagung erhalten: 65 Mal
Geschlecht:
Kontaktdaten:

Hilfe: Hund reagiert aggressiv auf andere

Beitrag von RuJo » Mo 7. Feb 2022, 15:42

Moin zusammen,

puh, ich war schon eeeeewig nicht mehr hier (fast 10 Jahre :shock: ) aber so ein paar bekannte Nicknamen habe ich schon gesehen. Also erstmal ein Hallo in die Runde.

Ein Verhaltensproblem mit meinem Hund führt mich hier her, wo ich die Diskussionen immer als recht sachlich und hilfreich empfunden habe. Vielleicht erstmal "kurz" die Eckdaten (muss leider ein bisschen lang ausholen):

Der Hund:
Unsere Piña lebt seit 30.012.2018 bei uns und ist jetzt etwa 7 Jahre alt. Sie hat die ersten Jahre ihres Lebens auf den Straßen in Ecuador verbracht, hat in der Zeit mindestens einmal Junge gehabt, ist aber inzwischen kastriert. Vom Wesen war sie anfangs zunächst ängstlich.. jeder Hund und jede Katze machte ihr Angst. Obwohl sie von der Straße kam, wirkte sie sehr schlecht sozialisiert und man hatte immer das Gefühl, dass sie andere Hunde einfach nicht lesen kann. Obwohl sie inzwischen viel souveräner mit Hunden umgehen kann, zieht sich das Thema bis heute durch. Das ängstlich Verhalten zeigt sich heute nur noch vereinzelt, wenn z.B. ein großer Hund zu stürmisch auf sie zu kommt. In der Regel würde man das aber kaum noch erahnen. Sie spielt gern aber nicht immer (sie macht uns durch Ausweichverhalten recht deutlich, wenn sie keine Lust auf Hund gerade hat, und wir respektieren das dann) und ist dabei immer schon recht grob.
Ansonsten hat sie einen recht starken Jagdtrieb (hat in unserer Zeit in Ecuador auch erfolgreich Ratten erlegt) und ihr größter Antrieb ist Futter, wobei sie selbst das noch für Futter erachtet, an dem selbst Straßenhunde einfach vorbei gehen.

Die Situation:
Piña ist im großen und ganzen ein toller Hund, der gut zu uns passt. Aber ihr Verhalten stellt uns von Anfang an immer mal wieder vor kleinere oder größere Probleme. Ich bin zwar mit Hunden aufgewachsen, aber sie hat eine völlig andere Intelligenz als ein Schäferhund. Sie nutzt sie vor allem zum eigenen Vorteil - v.a. Thema Fressen (es fehlt der legendär schäferhündische "will to please"). Mitunter braucht sie nur eine Situation um etwas neues zu lernen, sofern ihr das Ergebnis erstrebenswert erscheint. Z.B. weiß sie noch wochenlang, an welche Stellen sie mal einen Krümel zu fressen gefunden hat. Ich hätte mir mit einigen Situationen professionelle Hilfe gewünscht. In Deutschland wäre ich mit ihr schon längst bei einer guten Hundeschule gewesen, um den idealen Umgang mit ihr zu lernen. Hier in Südamerika ist das leider alles nicht so leicht und funktioniert nicht nach meinem Geschmack. Hier ist es so, dass Hundetrainer deinen Hund für dich erziehen, nicht dich selbst dazu anleiten, was ich nach wie vor extrem befremdlich finde. Wir haben es einmal nach langem Suchen, persönlichen Empfehlungen von Kollegen und Besuchen von Hundeschulen trotzdem einmal versucht, aber es war eine absolute Vollkatastrophe - nie, nie wieder! Also versuchen wir es nach bestem Wissen und Gewissen selbst, aber ich stoße an meine fachlichen Grenzen und merke selbst, dass ich oft genug im trüben fische. Ich habe daher auch schonmal versucht Rat in einem reinen Hundeforum zu finden, aber auch das war wenig hilfreich, weil eine (völlig falsche) Meinung schnell gefasst war und meine Erklärungen gar nicht mehr gehört worden sind. ( ich weiß nicht, darf ich hier zu dem Beitrag verlinken? Wäre vielleicht hilfreich, weil ich dort schon ganz viel zum Hund erklärt habe)

Das Problem:
Leider wird Piña immer verkorkster und es ärgert mich so, weil ich weiß, dass es daran liegt, dass wir was falsch machen... aber ich weiß einfach nicht in welche Richtung ich korrigieren muss. Aus der anfänglichen allgemeinen Panik vor Hunden wurde irgendwann allgemeines Interesse und sie hat sie als Spielgefährten kennengelernt. In einem Urlaub noch im ersten Jahr gab es leider eine unschöne Begegnung mit einem großen, sehr aufdringlichen Rüden (Straßenhund), den wir nicht abschütteln konnten und wo Piña sich letztlich zum ersten mal selbst verteidigte. Die Situation an sich war völlig nachvollziehbar und sie hat sich da hündisch korrekt verhalten. Wir haben weder gelobt noch getadelt, sondern haben die Situation dann verlassen, als es endlich möglich war. Leider ist sie wie gesagt sehr schnell lernfähig und hat dieses neue Verhalten direkt als Aktionsmöglichkeit abgespeichert, ist dann aber wegen der mangelnden Sozialisation nicht so richtig in der Lage es korrekt anzuwenden. Es kamen dann zunächst im Anschluss an diesen Urlaub vereinzelt mal Reaktionen wie diese von ihr, die wir je nach Situation als "hündisch ok" laufen lassen haben (z.B. mit einer halbwüchsigen Nachbarshündin, die oft sehr aufdringlich war, und die sie dann mal zurechtgewiesen hat) oder mit einem "Nein" quittiert haben (z.B. wenn sie meinte, andere Hunde davon abhalten zu müssen, uns zu kontaktieren). Höhepunkt war, als sie einen wenige Wochen alten Welpen, der an der Leine einfach nur an uns vorbei ging plötzlich ohne Vorwarnung in Sekunden auf den Rücken legte. Das war dann auch der Moment, wo ich Hilfe in dem Forum suchte (da wurde immer nur gesagt, ich soll nicht überbewerten, aber ic habe da schon gesehen, wohin es bei ihr führt, wenn man nicht aufpasst).. wir haben es dann selbst irgendwie wieder soweit hinbekommen. Im Jahr darauf haben wir dann in einer Gegend gewohnt, in der es nur selten Hundekontakte gab und damit auch keine Probleme.

Jetzt leben wir seit einem halben Jahr in Bogotá und hier sind Hunde überall und Hundekontakt nicht vermeidbar, selbst wenn man das wollte! (Hundenation Deutschland ist da nix dagegen!). Und seit ein paar Wochen häufen und verschlimmern sich die Probleme. Zunächst war alles gut, viele Spielgefährden mit denen viel getobt wurde. Es fing an mit einer großen, sehr ruhigen Hündin, auf die Piñchen los ist. Die Hündin ergriff die Flucht was Piñchen erst recht anstachelte. Seither kommt sie an die Leine, wenn die Hündin im Park ist. An der Leine, wenn wir Piñchen kontrolliert zur Hündin lassen und sie nicht flieht, funktioniert es aber. Dann passierte es zwei-dreimal mehr, dass Piña auf andere Hündinnen los ging. Wir erkannten dann auch ein Muster - immer Hündinnen, die verunsichert wirkten (so wie sie es ja selbst eigentlich ist bzw. war). Wir konnten das noch gut begrenzen. Wenn so eine Hündin in Sichtweite kam, haben wir Piña ablenkt mit Tricks, angeleint oder sind gegangen. Es war alles gut kalkulierbar. Leider gab es dann einen Zwischenfall im Dezember, seit dem sich die Lage verschärft. An einer Mülltonne (FUTTER!) ging Piña auf eine Hündin los, die aber nicht ganz so unterwürfig war. Es entstand ein Handgemenge, bis ich Piña zu fassen bekam. Seither erweitert sich ihr "Beuteschema" ständig.. plötzlich waren es nicht mehr nur verunsicherte Hündinnen, sondern nach unserem Empfinden wahllos mal diese, mal jene, dann fast jede, inzwischen auch Rüden. Im Moment haben wir das Gefühl, dass sie wahllos jeden Hund versucht zu einer Flucht zu bewegen, es sei denn sie unterschreiten eine gewisse Größe (Beagle abwärts) oder sie gehören zu bestimmten Rassen, die - sorry - zu stumpfsinnig sind, um ihren Versuch einer Attacke zu verstehen und nach ihrem Willen zu reagieren .. z.B. Huskies, viele Schäferhunde, Golden Retriever. In einem solchen Fall, wenn das Gegenüber nicht mit Flucht oder Gegenwehr reagiert (zum Glück oft genug, die Hunde hier sind extrem cool!) lässt sie auch sofort ab und hat kein Interesse oder es geht in ein Spiel über. .. es fängt übrigens auch nicht selten mit einer Aufforderung zum Spiel an, bis sich plötzlich die Situation ändert. Ich denke, das aktuelle Problem beruht auf einer Mischung aus der schlechten Sozialisierung und ihrem Jagdtrieb.

Jetzt laufen wir natürlich nur noch an der Leine und versuchen die größten Hundeansammlungen zu vermeiden. Aber das löst ja die Problematik nicht (zudem es auch an der Leine nicht 100% vermeidbar ist, hier gehen fast alle ohne Leine gassi und das Konzept von einem Hund, der blöd reagiert existiert hier nicht so richtig, deswegen lassen die Leute ihre Hunde auch ran). Ich würde sie so gern auch wieder spielen lassen, aber im Moment kann man das einfach nicht riskieren. Man sieht richtig, wie sie dieses Rennen und Toben braucht... aber ich kann das auch so schlecht ersetzen, ohne ihren Jagdtrieb noch weiter zu befeuern (z.B mit Ballspielen). Wir machen immer schon auch Dogtricking mit ihr, aber das powert sie körperlich nicht aus. Ich möchte also gerne an der Situation arbeiten, aber ich weiß nicht recht wie.
Wie reagiert man richtig? Aus der Situation rausnehmen und ohne Kommentar einfach gehen? Maßregeln? Was mache ich, wenn ich schon sehe dass sie gerade in diese Stimmung kommt? Ablenken mit Futter/Tricks oder bestärkt sie das eher noch, das es cool ist, was die macht? Wir haben das alles schon probiert, sind damit aber natürlich "all over the place" und fahren keine klare Linie.

Ich hoffe, jemand hat eine Idee...

liebe Grüße
Aj


"Ein gutes Buch, das von majestätischer Unerschlossenheit an seiner Stelle im Regal steht, stellt die aufmunternste Form intellektueller Wandverkleidung dar!" (David Quammen "Die Hörner des Rhinozeros")

Benutzeravatar
RuJo
Planetarier
Planetarier
Beiträge: 1891
Registriert: So 9. Mai 2010, 18:33
Land: Deutschland
Hat sich bedankt: 101 Mal
Danksagung erhalten: 65 Mal
Geschlecht:
Kontaktdaten:

Re: Hilfe: Hund reagiert aggressiv auf andere

Beitrag von RuJo » Mo 7. Feb 2022, 15:50

Und noch kurz zeigen, damit ihr jetzt nicht das Bild von einem fiesen Drachen im Kopf habt... sie kann auch ganz lieb sein

[url=https://postimg.cc/1V4Zd32F]Bild[/url]

[url=https://postimg.cc/gnvMWWpL]Bild[/url]

[url=https://postimg.cc/nsw2kV4g]Bild[/url]


"Ein gutes Buch, das von majestätischer Unerschlossenheit an seiner Stelle im Regal steht, stellt die aufmunternste Form intellektueller Wandverkleidung dar!" (David Quammen "Die Hörner des Rhinozeros")

Benutzeravatar
Blutkiel
Planetarier
Planetarier
Beiträge: 8
Registriert: Do 21. Apr 2016, 11:13
Land: Deutschland
Wohnort: Gera
Hat sich bedankt: 6 Mal
Danksagung erhalten: 1 Mal
Geschlecht:
Kontaktdaten:

Re: Hilfe: Hund reagiert aggressiv auf andere

Beitrag von Blutkiel » Di 8. Feb 2022, 01:53

Hey,

beim durchlesen ist mir schon eines aufgefallen und das hast du dir sozusagen schon selbst beantwortet.
Pina ist ein eher unsicherer Hund, der langsam souveräner wurde, doch dann habt ihr sie machen lassen und ihr gezeigt, dass du ihr keine Führung gibst, somit hat sie den erlernten Respekt verworfen und durch den Vorfall hat es sich wohl noch mehr manifestiert.
Das bedeutet: Du musst ihr IMMER Führung geben, ihr zeigen das DU die Situation unter Kontrolle hast.
Achte auf kleinste Symptome, leichtes Lefzen kräuseln, starren, Rute steil etc, all das ist ein Zeichen für anfangende Aggression.

Hier zu kann ich dir mal Martin Rütter empfehlen.

Sprachkurs Hund mit Martin Rütter: Körpersprache und Kommunikation
Problem gelöst! mit Martin Rütter: Unerwünschtes Verhalten beim Hund
Hundetraining mit Martin Rütter: verständlich, partnerschaftlich, individuell
Souveräne Impulskontrolle bei Hunden: Wie Sie Ihren Hund besser verstehen und zu mehr Ruhe und Gelassenheit verhelfen
Angst bei Hunden - mit Martin Rütter: Umgang mit ängstlichen und traumatisierten Hunden
Aggression beim Hund: Ursachen erkennen, Verhalten verstehen und richtig reagieren

Dazu auch die DVDs von seinen Programm: Hund Deutsch -Deutsch Hund, Freispruch, Der tut nix, nachSITZen, einfach weil es dir sicher eine gute Unterstützung geben kann, denn manchmal sieht man vor lauter Wald die Bäume nicht.
Kurz um: Du hast es schon einmal geschafft, dann musst du es wieder so machen und auch durchziehen, sie braucht die Sicherheit.


Ich hoffe das hilft irgendwie eine Art Überblick zu bekommen.. ich drück die Daumen,

LG
Blutkiel



Antworten

Zurück zu „Hunde Erziehung“